
Die ganze Story
Die Diagnose
Eine unheilbare Krankheit als Brennglas für das, was wirklich zählt
09.07.2025
Was tun, wenn der Körper immer mehr Funktionen einbüßt und die Gedanken klarer sind als je zuvor? Wenn die Zeit knapper wird, aber die Fragen, die mich antreiben, weiterwachsen, drängender werden? Zurückziehen? Aufgeben? Ich nicht. Dafür ist das, was mich antreibt, zu groß und zu wichtig. Ich mache weiter, weil auch aus meiner Schwäche Räume wachsen – für die Stärke anderer, für Fragen, die unsere Zukunft betreffen, und für Möglichkeiten, die bisher undenkbar waren.
Ich lebe mit einer unheilbaren neurodegenerativen Erkrankung. Diese zerstört fortschreitend alle Nerven, die für die Bewegungen des Körpers und damit für die Autonomie des Menschen zuständig sind (Motoneuronenerkrankung). Die Krankheit liegt in der Familie; viele Angehörige sind daran schon verstorben.
Die Nerven in meinem Gehirn und Rückenmark sind bereits so weit kaputt, dass das Gehen und Sitzen sowie teilweise das Sprechen und Atmen schwerfallen. Ob es sich bei mir um Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder eine andere ALS-ähnliche Erkrankung handelt, ist noch unbekannt. Zu selten ist das genetisch vererbte Leiden, viel zu wenig Geld wird seine Erforschung investiert, als dass sich dies mit Sicherheit sagen ließe. In jedem Falle umfasst mein Leid neben fortschreitenden Muskelschwächen chronische Schmerzen, Krämpfe und vorübergehende Lähmungen. Ein progressiver Verlauf ist wahrscheinlich; meine Lebenserwartung ist verkürzt. In unserem weitgehend ökonomisierten Gesundheitssystem bin ich mit alldem vor allem eins: allein.
Therapien gibt es keine.
Ich könnte mich zurückziehen. Könnte mich fügen. Aber ich mache weiter. Weil mich die Krankheit lehrt, was jetzt zählt und was nicht. Weil es Dinge gibt, die größer sind als meine Krankheit. Weil ich Bildung neu denken will und Räume schaffen, in denen junge Menschen Fragen stellen können, die bisher keinen Raum hatten. Weil ich daran mitarbeiten möchte, dass Maßstäbe für ein gutes Leben neu gesetzt werden. Weil ich Sinnräume eröffnen will, die bleiben, wenn ich längst nicht mehr da bin. Und weil da Menschen sind, die mir ihre Hände, ihre Köpfe und ihre Herzen leihen, damit ich all das noch tun kann.
Was ist noch schlimmer als Leid? Gleichgültigkeit.
Elie Wiesel, Schriftsteller und Überlebender der Schoah, hat einmal gesagt:
„Was ist noch schlimmer als Leid? Gleichgültigkeit. Was ist noch schlimmer als Verzweiflung? Resignation.“
Ich will nicht resignieren. Weder vor meinem Schicksal noch vor den Herausforderungen unserer Zeit. Ich will zeigen, dass Schwäche eine große Kraft freisetzen kann, um gemeinsam mit anderen Neues entstehen zu lassen. Genau deshalb mache ich weiter. Als Vorbild, als Mentorin, als Inspirationsquelle.
Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Themen und Fragen, die mich antreiben, weitergetragen werden. Damit daraus Räume entstehen, in denen unsere Gesellschaft wächst und Zukunft neu gedacht werden kann.